Kritische Aspekte bei der Umsetzung von Records Management / GEVER Programmen in der Verwaltung
Highlights aus dem Halbtagesseminar des krm vom 26.Juni 2024 in Zürich
Offenbar laufen nicht sehr viele Digitalisierungsprojekte (Schwerpunkt GEVER/Records Management) so reibungslos, wie dies von den Softwareanbietern immer wieder gerne behauptet wird. Das vom krm ausgeschriebene Praxisseminar stiess auf ein unerwartet hohes Echo, der Anlass war ausgebucht. Die Frage, wie Records Management und GEVER Programme erfolgreicher umgesetzt werden können, hat grosses Interesse der Community geweckt. Über die Hälfte der Teilnehmenden stammte aus dem Kreis des Verbands Schweiz. Archivarinnen und Archivare (VSA), angemeldet waren auch zwei Staatsarchivare.
Das krm organisierte diesen Anlass, weil wir aufgrund diverser Mandate in Kantonen und Gemeinden immer wieder festgestellt haben, dass es in verschiedener Hinsicht mit der Digitalisierung hapert. Auffallend sind insbesondere organisatorische Probleme im Change Management und beim Kulturwandel, wo wir es oft mit massiven Veränderungsresistenzen und -immunitäten zu tun haben. Weshalb dauert die Digitalisierung so langsam? Weil sie nicht zu unserer Kultur passt! Das Dauerbrenner-Thema der Adaption und Akzeptanz von GEVER-Systemen gegen das Beharrungsvermögen im Dateisystem (Explorer = Macht der Gewohnheit), stellt dabei nur einen Aspekt dar. Die Verhaltensmuster sind jedoch da und dort dieselben: nicht die Technologie ist das Problem, sondern die Befindlichkeiten in der Organisation und Machtspiele einflussreicher Akteure. Der Aufbau einer fruchtbaren «Informationskultur» scheint ein professionelles Fischen im Trüben zu sein.
Wie mit diesen (und anderen) Herausforderungen umgegangen werden kann, demonstrierten die zwei Referenten mit ihren Erfahrungsberichten. Gregor Egloff vom Staatsarchiv Luzern ist es gelungen, mit einer 2019 von unten gestarteten Information Governance Initiative durch die Hebelwirkung von verwandten Disziplinen (Informationssicherheit, Datenschutz) die Relevanz und Wertschätzung von Records Management in der Kantonsverwaltung zu steigern. Die «Raison d’être» von Records wird plötzlich allen Involvierten bewusst. Sie bilden Dreh- und Angelpunkt für die Orchestrierung zielführender Programmaktivitäten. Das Beispiel zeigt auch, wie ein stetes und hartnäckiges Verfolgen der einmal gesteckten Ziele in die richtige Richtung zum Erfolg führen kann. Interne Vernetzung und ein produktiver Umgang mit Tools – verbunden mit einer Sperrung des Dateisystems für offizielle Aktenführung – in Kombination mit einer Kooperationskultur des «Miteinander» sind dabei Schlüsselfaktoren.
Der zweite Erfahrungsbericht von Thomas Gisin, Fachverantwortlicher Records Management der Gemeinde Riehen, führte ebenso wie Gregor Egloff vor Augen, wie wichtig ein holistischer interdisziplinärer Ansatz ist, der auch von oben im Sinne von Information Governance aktiv durch einen entsprechenden Fachausschuss unterstützt wird. Sein Beitrag kann im Detail hier auf dem krm Blog nachgelesen werden.
Der Setup der beiden Referate ergab einen guten Mix: Gregor Egloff konnte mit über 30 Jahren Erfahrung ein sehr breites Spektrum abdecken, während Thomas Gisin, als Vetreter einer jüngeren Generation mit beachtlichem Know-how eine gute Ergänzung darstellte.
Nach der Pause, die viel Raum für den fachlichen Austausch bot, präsentierte Jürg Hagmann (krm) einen kurzen Theorieteil mit ergänzender Dokumentation zum Thema Change Management und Kulturwandel. Dieses weite Feld kann im Sinne einer anzustrebenden «Informationskultur» heruntergebrochen werden auf spezifische Aktivitäten des produktiven Umgangs mit Geschäftsinformation. Es wurde klar, dass Kultur immer ein Ergebnis von bestimmten Aktivitäten und Strukturveränderungen im Lifecycle Management ist (vgl. Informationselefant) und als solche kaum verändert werden können. Da müssen alle hindurch und an ihren Erfahrungen wachsen können. Wichtig ist, dass die Führungskräfte das Vorhaben unterstützen und sich als Teil einer «Kooperationsarena» verstehen, die das Miteinander fördern und das Gefühl vermitteln, dass alle Involvierten am gleichen Strick ziehen.
Abb.1: Informationselefant, Praxisleitfaden, 2021, S.102
Man kann also notleidende oder kriselnde RM-Projekte durchaus wieder auf Kurs bringen. Es gilt, den Hebel am richtigen Ort anzusetzen! Solche praktischen Aspekte wurden in einem Gespräch mit dem CDO der Gemeinde Horgen (Gael Roth) in Interviewform im Seminar diskutiert. Als Quintessenz resultierte die Feststellung, dass die Umsetzung eines RM-Programms immer Zeit und Geduld erfordert. Manchmal wird ein GEVER-System ungenügend genutzt, dessen Potential lässt sich aber Schritt für Schritt verbessern. Erfolgversprechend sind Beispiele konkreter Alltagssituationen, wo die Leute durch Fehler oder in der Zusammenarbeit zwischen Abteilungen lernen können. In der Praxis ist ein schrittweises Vorgehen mit unterstützenden Arbeitsweisen und der Verbreitung kooperativer Einstellungen in geeigneten Foren (Kaffeepause, Watercooler, Communities of Practice, Storytelling) zielführender als ein grosser Wurf. Es ist erwiesen, dass organisationales Lernen zu 80% informell stattfindet (…. frag doch den/die Kollegen/in).
Schliesslich präsentierte Dominik Sievi (krm) zehn Schlüsselfaktoren für die Umsetzung von Records Management und betonte u.a., dass es keinen Königsweg gibt, jedoch wichtige Stellschrauben, die auch Thomas Gisin hervorgehoben hatte:
- Intensive Schulung
- Klare Kommunikation
- Power-User (regelmässiger Austausch)
Abschliessend präsentierte Daniel Burgwinkel (krm) noch eine Marktübersicht über gängige Tools mit einer nützlichen Checkliste betr. geeigneter Auswahlkriterien.
Beim gemütlichen Ausklang mit Apero wurde noch ein Praxisleitfaden Information Governance verlost, welcher einer glücklichen Gewinnerin übergeben werden durfte.
Fazit: Das Seminar ist vor allem aufgrund der wertvollen Praxisberichte sehr gut angekommen, was die sehr positiven Rückmeldungen der Teilnehmenden nahelegen. Das Interesse an einem fachlichen Austausch scheint gross zu sein und wir überlegen uns, das Format weiter zu führen. Bekanntlich wächst im öffentlichen Sektor der Druck auf die Behörden mit der Umsetzung der elektronischen Geschäftsverwaltung vorwärts zu machen.
Zudem stehen die nächsten Herausforderungen bereits ins Haus, denn der Datenaustausch zwischen Gemeinden, Kantonen und dem Bund erfordert weitreichende Digitalisierungsaktivitäten.
Möchten auch Sie an dieser Veranstaltung teilnehmen und/oder wünschen Sie eine Wiederholung, dann schreiben Sie einfach kurz eine Mail an event(AT)krm.swiss.
Jürg Hagmann / Bruno Wildhaber
Statement einer Teilnehmerin:
«Das krm moderiert seine Fachveranstaltungen geschickt und ermöglicht auf diese Weise einen spannenden und lehrreichen Diskurs, der über das eigentliche Thema der Referate hinausgeht. Immer wieder ein (Erkenntnis-)gewinn.»
Rebekka Wuchner. Records Managerin im Departement WSU, Kt. Basel-Stadt
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