Das Parlament hat am 17. März 2023 in der Schlussabstimmung das etwas sperrig klingende «Bundesgesetz über den Einsatz elektronischer Mittel zur Erfüllung von Behördenaufgaben“ (EMBAG) mit grosser Mehrheit gutgeheissen.
Es ist zu hoffen, dass durch dieses Gesetz das Bewusstsein für die dringliche Bewältigung der digitalen Transformation auf allen Ebenen der öffentlichen Verwaltung (Bund, Kantone und Gemeinden) vorangetrieben wird. Die Pandemie hat schonungslos aufgezeigt, dass die Schweiz die Fax-Epoche rasch überwinden muss (Beispiel BAG). Indessen wird nun in den Kantonen fröhlich weitergefaxt, da deren Mitwirkung im EMBAG wieder rausgekippt wurde.
Wie die Erfahrung gezeigt hat, liegen die Hürden der Digitalisierung jedoch primär in den organisatorischen Problemen der Umsetzung. Insbesondere wenn es um die medienbruchfreie Verwaltung behördenübergreifender Schnittstellen geht und eine Standardisierung benötigt wird, um entsprechende Synergien zu erzielen, sind alle Beteiligten stark gefordert. Eine zuverlässig funktionierende Geschäftsverwaltung, sprich Informationsmanagement und Aktenführung basierend auf einheitlichen Standards, sind eine unverzichtbare Voraussetzung für eGovernment und digitale Transformation in der Verwaltung. Dazu braucht es die nötigen Tools, u.a. GEVER-Systeme, die nicht nur den Zweck haben Dokumente in starren Ordnungssystemen abzulegen und zu verwalten, sondern die relevante Geschäftsinformation in Workflows während der aktiven Phase des Lifecycle möglichst einfach zu beherrschen. Dabei kümmert es die Anwendungsnutzer nicht besonders, in welchen vorgegebenen Strukturen (Dateisysteme, Klassifikationen) diese abgelegt werden. Dies soll das System automatisch im Hintergrund erledigen. In diesem Sinne haben traditionelle Records Management Konzepte ausgedient, weil sie Anwender in unnötige korsettartige Strukturen zwingen. Anzeichen dafür gibt es aus der Bundesverwaltung: Der Einfluss des Bundesarchivs – welches ein sehr traditionelles Records Management vertritt – auf die Abnahme von Ordnungssystemen und Organisationsvorschriften der anbietepflichtigen Stellen, wird teilweise als zu gross eingeschätzt; siehe Schlussbericht der Evaluation des Bundesgesetzes über die Archivierung (BGA), S. 57 ff. Gemäss Einschätzung krm haben es aber auch die anbietepflichtigen Stellen ihrerseits oftmals verpasst, selbst die benötigten Kompetenzen aufzubauen.
Die Tatsache, dass diverse GEVER-Systeme zum Teil noch um Akzeptanz ringen, liegt eben einerseits in einer mangelhaften Beherrschung und Flexibilität im Umgang mit Workflows, andererseits an mangelnder Benutzerfreundlichkeit (überholte Technologien und Benutzeroberflächen). Zugunsten des Records Managements als Disziplin muss allerdings auch festgehalten werden, dass es in den Funktionen oft am Verständnis für die Dringlichkeit und Notwendigkeit von Prozessen der Aufbewahrung mangelt; was immer weiterleben wird, sind nämlich die gleichbleibenden Anforderungen, d.h. die Grundprinzipien der rechtskonformen und ordnungsgemässen Aufbewahrung von Geschäftsinformation als Beweismittel über den gesamten Lebenszyklus von Unterlagen! (vgl. Praxisleitfaden Information Governance, S.110/111 Was bleibt vom Records Management). Vielschichtige und komplexe Aufgaben verlangen eben auch anspruchsvollere Lösungen, die einen gewissen Trainingsaufwand und etwas Erfahrung bedingen und nicht intuitiv im simplen «Google-Stil» bewältigt werden können. Unter anderem aufgrund von falschen Annahmen in diesem Bereich hat die öffentliche Verwaltung und Privatwirtschaft die früher allgegenwärtigen «Registraturen» nach und nach abgeschafft, beziehungsweise zu «Kompetenzzentren» umgewandelt. Diese Kompetenzzentren sind nur noch beratend tätig, oft mit zu geringen Ressourcen. Während der effektive Arbeitsaufwand – das Ablegen, korrekte Klassifizieren und Wiederauffinden (!) der Unterlagen – an operative Einheiten abgeschoben wurde, welche sich kaum dafür interessieren. Ein sinkendes Qualitätsniveau ist so vorbestimmt.
Aus Sicht einer effizienten Geschäftsverwaltung, die unabhängig von der Qualität tauglicher Lösungen betrieben werden muss, bleibt festzuhalten, dass die meisten Bestimmungen im neuen EMBAG zwar in die richtige Richtung weisen, aber sehr voraussetzungsbedürftig sind und an organisatorischen Hürden scheitern werden (geringe Change-Management Kultur und Innovationsbereitschaft der Akteure sowie Prokrastination von überholten Strukturen unter dem Macht- und Einflussbereich der Generalsekretäre[1]). Denkt man an die Schwierigkeiten mit denen die Kantone betr. GEVER-Umsetzung zu kämpfen haben (weiterhin Silodenken und dezentrale IT-Fachstrategien mit geringer Koordination und Synergien zwischen den Departementen und Ämtern), so dürfte eine Interoperabilität mit Bundesämtern noch lange ein frommer Wunsch bleiben (z.B. automatisierter Datenaustausch). Damit wird die Schweiz betreffend Digitalisierung im internationalen Vergleich weiterhin im hinteren Mittelfeld verharren – weit weg von den Forderungen der Tallinn-Deklaration betr. eGovernment von 2017 (digital-by-default, inclusiveness, accessibility), so wie dies als Anspruch in der Botschaft zum EMBAG steht!
J.Hagmann / D. Sievi
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