Filmkritik: A Decade of Discovery oder Muss man auch in der Schweiz alle E-Mails aufbewahren?

Am 7. Mai wurde in Zürich ein Film gezeigt (trailer), welcher die Entwicklung des amerikanischen eDiscovery Verfahrens während der letzten 20 Jahre zeigt. Der Film beschreibt die Entwicklung des Aufarbeitens von Daten, welche in amerikanischen Prozessen vorgelegt werden müssen. Im amerikanischen Prozessrecht können die Parteien gegenseitig Beweismittel einfordern. Kann eine Partei etwas nicht liefern und der Richter hat den Eindruck, dass diese Partei dies nicht tun kann oder will, kann er diese Partei verurteilen, ohne dass er weitere Fakten prüfen muss (oder die Jury befragt). Der Film widmete sich ausführlich den Schwierigkeiten, welche die untersuchenden Stellen zu meistern hatten. Seit dem Aufkommen der ersten elektronischen Kommunikationsmittel, den Vorläufern der heutigen E-Mails, wuchsen die Datenmengen immer stärker. Ging man vor 15 Jahren noch von einigen 100.000 Mails aus, die im Weissen Haus produziert werden, dann dürften es heute bereits Milliarden sein. Detailliert wurden die altbekannten Fälle wie ZUBULAKE vs. UBS  dargestellt und es wurden auch kritische Stimmen zum amerikanischen Rechtssystem laut. Unter anderem wurde ausgesagt, dass heute 80 % der Verfahrenskosten zur Beweisbeschaffung anfallen würden. Dies bedeutet, dass in den meisten Fällen eine umfangreiche Suche in Mailsystemen erfolgen muss. Diese Suchkosten sind exorbitant, wie man in unserem eDiscovery Kapitel  nachlesen kann (Information Governance Leitfaden). Die Verfahren dazu sind zwar mittlerweile weit gereift, doch ist der Aufwand  nach wie vor immens. Was der Film nicht gezeigt hat, war die Tatsache, dass das Erfassen der relevanten Datenbestände bereits einen grossen Aufwand erzeugt. Der Film hat sich vor allem auf die Suche fokussiert. Doch Suchen bedeutet auch, dass man weiss, in welchen Datenbeständen sich die gesuchten Artefakte befinden könnten. Keine Aussage gab es im Film auch zur Tendenz, Daten möglichst vollständig zu archivieren. Eine Bestrebung, die wir aufs Schärfste kritisieren, weil sie damit dem Datenmissbrauch Tür und Tor öffnet.

Welche Schlussfolgerungen kann man für die Schweiz und Europa aus den gezeigten Erfahrungen machen?

1. Das Verfahren der Beweisvorlage, wie sie in den USA geprägt wird, ist ein Unding und wir können froh sein, dass man in Zentraleuropa damit nichts zu tun hat. Dies gilt nicht erst seit ein paar Jahren sondern schon seit längerer Zeit (vgl. etwa NZZ: E-Discovery – Die neue Gefahr aus Übersee  (27.10.2005, S.29)
2. Gleiches gilt für die Punitive Damages, d.h. die völlig überrissenen Schadensersatzforderungen, die zum grossen Teil durch die US-Richter gutgeheissen werden
3. Es ist fast unmöglich  aus solch grossen Datenmengen mit hoher Zuverlässigkeit die relevanten Daten zu isolieren. Dies kann nur dann erfolgreich sein, wenn im Vorfeld bereits Aktivitäten durchgeführt wurden, die das Beherrschen der Daten zum Ziel haben. Ohne eine gut geführte Information Governance sind solche Suchaktionen immer mit riesigem Aufwand und entsprechenden Kosten verbunden.

Für schweizerische Unternehmen, welches sich nicht in amerikanische Rechtshändel einlassen, kann man ohne weiteres Entwarnung geben. Wir kennen diese Discovery-Verfahren nicht. Bei uns entscheidet der Richter nach freiem Messen und Ermessen, bzw. nach dem ihm vorgelegten Beweisen (Grundsatz der freien Beweiswürdigung). Trotzdem heisst das natürlich nun nicht, dass man für die Erfassung möglicher Beweismittel keine Aktivitäten tätigen sollte. Denn natürlich ist auch im schweizerischen Prozess im Vorteil, wer über die richtigen Beweismittel verfügt. Im Gegensatz zum amerikanischen Verfahren kann aber nicht pauschal verurteilt werden, wer einen Beweis nicht liefert. Trotzdem ist gerade im Zusammenhang mit der E-Mail Kommunikation zu raten, dass man sich sehr genau überlegt, welche Mailarchivierungsstrategie man anwenden will. Man kann weder sämtliche E-Mails über lange Zeit archivieren, noch gänzlich auf eine Archivierung verzichten. Es ist zwingend, die notwendigen Regeln zu erlassen und nach diesen zu handeln. Im internationalen Kontext empfiehlt es sich, diese jeweils anwendbaren Länderregelungen zu kennen und sich zu entscheiden, in welchen Ländern man am ehesten das Risiko eingeht, in einen Prozess verwickelt zu werden. Denn erfahrungsgemäss gibt es keine Lösung, die allen länderspezifischen Aufbewahrungsvorschriften entspricht. Man wird also nicht darum herumkommen so genannte „Global Rules“ zu definieren. Das KRM hat langjährige Erfahrung in solchen Risk- Managementprozessen und unterstützt die Unternehmen bei der Definition dieser Vorgaben.

 

PS: Nach dem Film folgte ein Panel moderiert vom Leiter e-Discovery der SwissRe, Taylor Hoffmann, mit Jason Baron (ex-head of litigation NARA), Joe Looby (Filmproduzent), Ralph C. Losey (Anwalt und Dozent für eDiscovery und Beweisermittlung) sowie Michael Becker (Anwalt und Direktor bei der Firma Consilio, die denEvent bei der SwissRe in Zürich organisiert hat).

In der Diskussion gab es am Schluss auch die Frage, ob denn die Juristen nicht besser in diesen Fragen Bescheid wissen müssten, da offenbar ein diesbezügliches allgemeines Defizit geortet wird (USA).  Die Meinung des Panels ging stark in die Richtung, dass Juristen die  entsprechenden Technologien besser kennen sollten oder zumindest in der Lage sein sollten die einschlägige Terminologie einzuordnen (zB. die Bedeutung und Konsequenzen von Metadaten etc.); dies könnte auch  dazu führen (implizit und explizit), dass dadurch die Rechtsdienste ein bessseres Verständnis für die übergreifenden Anliegen und Prinzipien der Information Governance entwickeln.

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