Kaum ein Tag vergeht, ohne dass sich nicht ein Journalist berufen fühlt, die heilsversprechende Zukunft der bankenlosen Gesellschaft zu predigen. Auf der Suche nach neuen Jobs & Zuckerbergs ist die news- und geldgeile Investoren- und Journalistenbande nun auf das Thema Blockchain und Bitcoin gestossen. Jüngstes Beispiel sind die Artikel im Economist zum Thema Blockchain und im Tages-Anzeiger Magazin vom 14.11.2015 über den Nerd Vitalik Buterin. Im Artikel des Tages-Anzeigers wird Buterin als „Lenin des digitalen Zeitalters“ beschrieben. Als ich den Artikel durchlas, befiel mich das unangenehme Gefühl, es hier nicht mit Lenin, sondern mit Rasputin zu tun zu haben!
Bei Buterin handelt es sich um einen typischen Vertreter der Generation Y, mit einer klaren Ausprägung in Richtung digitaler Egomanie. Oder anders formuliert: man bekommt den Eindruck, als Programmierer würde er sich nicht mal die Pizza unter der Türe durchschieben lassen, sondern sie im 3-D Drucker selbst herstellen. Man fragt sich zurecht, wie ein Einundzwanzigjähriger zur zweifelhaften Ehre gelangt, in hunderten von Artikeln genannt zu werden und erfahrenen Unternehmern und Informatikern beizubringen, wie die digitale Revolution funktioniert. Löst man sich von der Person, dann wird einem sofort klar, dass die Investorengemeinde wie auch die Presse seit Jahren verzweifelt nach neuen Vorzeigefiguren sucht (Nerds durchs virtuelle Dorf zu treiben macht sich einfach gut).
Die Technologie, die Buterin bekannt gemacht hat, basiert auf Kryptoverfahren (v.a. Hash-Algorithmen) und ist die Grundlage für die virtuelle Währung Bitcoin. Es nennt sich Blockchain. Dieses Verfahren dient vielen neuen Startup-Unternehmen im Umfeld der so genannten „Fintech“ Szene als als Enabler oder Katalysator für verschiedenste Geschäftsideen. Die Blockchain wird als grosse Zukunftstechnologie hochgejubelt, die eine Vielzahl von existierenden Kommunikations- und Transaktionsverfahren ablösen soll. Im Fokus der Presse und Investoren stehen vor allem die Finanzströme. Die Auguren versprechen, dass Zahlungsströme und andere Finanztransaktionen ausgeführt werden können, ohne dass diese durch Banken oder unterstützende Organisationen (SWIFT, SIC, Kreditkartenorganisationen.) geschleust werden müssen. Eine anonyme Vielzahl von Nutzern wird dabei Teil der Transaktion, ohne diese direkt beeinflussen zu können. Das Vertrauen in regulierte Instanzen soll durch das Vertrauen in eine unbegrenzte Zahl von anonymen Nutzern ersetzt werden.
Würde die Welt so funktionieren, wie sich dies viele Nerds vorstellen, dann gäbe es wohl keine zentrale Kontrollinstanz mehr – aber es gäbe auch niemanden mehr, der in Krisenfall den Stecker ziehen könnte. In deren Vorstellung entwickelt sich das System durch die hohe Vernetzung autonom und wird dadurch nicht mehr beeinflussbar. Diese Eigenschaften kann man positiv verstehen, aus meiner Sicht sind sie jedoch höchst bedrohlich. Die grösste Schwäche der Geschäftsmodelle in der Sharing Economy (auch Bitcoin gehört dazu) besteht im Fehlen von Verantwortlichkeiten und Personen, welche in Krisenfall für Fehler einstehen müssen. Es ist klar, dass sich der typische Nerd lieber auf eine Gruppe von anonymen Nutzen verlässt, die er oder sie nicht kennen muss, als mit realen Personen in Kontakt zu treten. Dummerweise ist aber die Vertrauensfrage zentral, wenn es um finanzielle Überlegungen geht. Vertrauen basiert auf verschiedenen Pfeilern. Dabei sind sowohl die ausführenden, vor allem aber auch die kontrollierenden Instanzen elementar. Die Gewaltentrennung als Grundprinzip der Demokratie bildet die Grundlage, auf welcher unser Vertrauen in den Staat basiert. Gleiches gilt für das Vertrauen in die Abwicklung von Finanzangelegenheiten. Die Technologie ist immer nur Mittel zum Zweck, nie Selbstzweck. Kulturelle Unterschiede prägen auch das Verhältnis gegenüber Vertrauensinstanzen. Wir haben bereits in den neunziger Jahren Forschungsprojekte durchgeführt, in welchen es darum ging, zu identifizieren, welche Instanzen bei der Abwicklung elektronischer Transaktionen hohes Vertrauen geniessen. Eines wurde dabei klar: Je nach Kultur und Land, sind die Vertrauensinstanzen unterschiedlich. Während in einem Land eine Bank ein hohes Vertrauen geniesst, ist es in einem anderen die öffentliche Verwaltung oder es können Privatunternehmen sein.
Das Netz als Ganzes oder deren Nutzergemeinschaft kann keine Vertrauensinstanz darstellen. Es fehlt schlicht an der Verantwortlichkeit und im juristischen Sinn an der Haftung. Dies allerdings ist ein ganz wesentlicher Aspekt, den die heute bekannte Technologie hat diverse Pferdefüsse. Die Performance um nur schon einen marginalen Teil der heutigen Finanzströme abzudecken, ist schlicht nicht gegeben. Was aber viel mehr zu denken gibt ist die Tatsache, dass eine Blockchain durch einen, mit hohem Rechenpower ausgerüstete Angreifer, übernommen werden kann. im Zeitalter der professionellen Cyber-Kriminalität wird man sich zweimal überlegen, ob man ein solches System für reale Finanzströme einsetzen will. Kein Regulator wird dies in naher Zukunft erlauben. Das ist Gift für jeden Business-Case!
Wieso also stürzen sich trotzdem verschiedene Banken und Investoren auf das Thema Blockchain? Diese Frage ist nun sehr einfach zu beantworten: Wir stehen vor dem dot.com Bust 2.0. Die astronomische Überbewertung verschiedenster Unternehmen in den letzten Monaten zeigt, dass wir uns wieder am selben Punkt wie im Jahr 2001 befinden. Unternehmen mit wenigen Mitarbeitern, die keinen oder wenig Umsatz erzielen aber Milliardenbewertungen aufweisen, sind lediglich Vehikel zum Zweck für geldgeile Investoren. Grossbanken, die auf den Zug aufspringen, stellen ein bis zwei Mitarbeiter ab, die sich der Sache annehmen: man muss ja auch dabei sein! Echtes Interesse besteht dabei kaum. Dies sind nur Mitläufer, die sich intern und extern als „Technologieleader“ zu verkaufen versuchen um die möglichst attraktive Rendite-Zitronen auspressen zu können!
Doch was ist das echte Potenzial der Blockchain und ähnlicher Verfahren? Die Verfahren sind sehr gut geeignet, um Regelwerke abzugleichen oder die Integrität von verteilten Datenbeständen zu kontrollieren. Die so genannten Smart-Contracts bilden eine interessante Anwendung und werden schon seit Jahren erforscht. Allerdings muss man im gleichen Atemzug erwähnt, dass eine Umsetzung bis heute kaum stattgefunden hat. Dies könnte sich ändern, weil Buterin und seine Kollegen durchaus einen wertvollen Beitrag erbringen, indem sie die Technologie als neutrale Plattform Entwicklern zur Verfügung stellen.
Fazit: Wie meist wird sich auch hier herausstellen, dass die Technologie nur einen sehr geringen Anteil an der Gesamtlösung hat. Ohne das notwendige rechtliche und organisatorische sowie soziale Umfeld werden solche Lösungen nicht massentauglich. Viele der toll tönenden Geschäftsmodelle werden sich kurzfristig nicht realisieren lassen, weil es genau an diesen Rahmenbedingungen fehlt.
Es gilt folglich sehr genau zu unterscheiden, ob man von der Technologie als solcher spricht oder über deren Anwendung. Die Erwartungen der Finanzbranche oder der Investoren sind so weit überzogen, dass man sie durchaus ins Reich der Märchen verweisen kann. Die ersten Investoren werden ihr Geld machen können, wie immer wird es die zweite bis dritte Welle treffen, welche die grossen Verluste einfahren wird. Es ist zu hoffen, dass die Auswirkungen nicht dasselbe Ausmass haben, wie dies beim dot com bust 1.0 der Fall war.
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